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Arbeiten im Kunstsystem
Patrik Schumacher, London 2011
Published in: Virgil Widrich, Stefan Reiter, Stefan Unger (Hrsg./Ed.), Inszenierung und neue Medien (Presentation and New Media) - 10 Jahre checkpointmedia: Konzepte, Wege, Visionen (10 Years checkpointmedia: Concepts, Paths, Visions), Springer Verlag Wien/New York 2011

 

Architektur rahmt die kommunikativen Situationen im urbanen Raum. Sie lädt verschiedene Gruppen, verschiedene Publika ein, leitet an und stimmt auf Situationen ein. Die soziale Funktion ist das Erfolgskriterium: Schaffe ich es, Situationen zu definieren, zu unterscheiden und auffindbar zu machen im öffentlichen Raum? Schaffe ich es, Partizipanten sichtbar zu machen, die Teilnehmer sich versammeln zu lassen und situativ einzustimmen? Im Gegensatz zu Ingenieurswissenschaften geht es hier um sozialisierte Subjekte, auf die ich mich beziehe, die ich choreographiere. Der Ingenieur hat mit materiellen Objekten zu tun, mit technischen Systemen und deren Funktionskriterien. Für Architektur ist das alles nur Gestaltungsmaterial, für dessen kompetente Handhabung Experten herangezogen werden. Ihre Kernkompetenz liegt im Einsatz technischer Systeme im Sinne von Strukturierung sozialer Kommunikationssituationen. Dieser Anspruch gilt allerdings nicht nur für Architektur. Auch beim Modedesigner geht es um die Rahmnung und Artikulation kommunikativer Situationen . Das gleiche Funktionskriterium gilt für einen Grafikdesigner, der genauso ein Kommunikationsdesigner ist.

Wir haben zu diesem Thema eine Serie von Arbeiten mit responsiven Systemen und Environments entwickelt und versucht mittels Sensoren und Messungen auf Bewegungsmuster und Nutzerkonfigurationen einzugehen. Die Reaktion auf die verschiedenen Reize erfolgt über kinetische Systeme, Beleuchtung oder bewegliche Elemente wie Fenster, Türen, Schiebewände. Sogar das lose Mobiliar kann in ein solches Feedbacksystem eingebettet werden. Das ganze Gebäude wird in „Layers of Transience“ aufgelöst, wobei speziell der mediale Layer mit Screens und Projektionen in seiner Flexibilität erlaubt, eventspezifische Atmosphären zu schaffen.

Ich unterscheide streng zwischen Design und Kunst. Allerdings nutzen Avant-garde-Designer die Kunstszene als Resource. Ich sehe dieses Kunstsystem, das wir für unsere Arbeit benutzen, nicht als Selbstzweck, sondern als ein Experimentierfeld für Ideen. Ein Experimentierfeld, in dem Dinge noch nicht instrumentalisiert werden müssen oder wo Instrumentalisierung sogar ein Ausschlusskriterium ist. Das Kunstsystem ist ein noch nicht instrumentalisierbares Experimentierfeld für Design, für Massenmedien, vielleicht sogar für Wissenschaft, Technologie, Politik.

Der Museumsbau ist ein Zwischenbereich. Man kann zum Beispiel von einem Navigationssystem gewisse Funktionalitäten erwarten, aber in dem Kontext eines Kunstzentrums ist es auch ein Kunstwerk, eine Andeutung von Zukunftsmöglichkeiten. Ein Museum muss natürlich benutzbar sein, aber es hat wesentlich höhere Freiheitsgrade. Wenn es darum geht, Kandinskys auszustellen, sind die Anforderungen klar. Man braucht entsprechende Kontroll- und Sicherheitssysteme. Man schafft Situationen, in denen sich die Besucher Werke ansehen können, wie es ihren Erwartungen entspricht. In einem Kunstzentrum für Gegenwartskunst wird die Architektur hingegen selbst beinahe zur Kunst, aber die Grenzziehung bleibt. Im Benutzen des Kunstsystems und im Einbinden von Ingenieursexpertise gibt es wenig Unterschied zwischen Architekten, Grafikdesignern, Internetkommunikationsdesignern, Modedesignern, Industriedesignern, Möbeldesignern oder auch Medien- und Kommunikationsdesignern. Das ist ein Diskurs mit ähnlichen Erfolgskriterien und scharf zu unterscheiden von Ingenieurswissenschaften und Kunst an sich.

Das Guggenheim-Museum Vilnius, das sich mit der Fluxus-Zeit der 60er/70er Jahre beschäftigt, ist ein Medium, in dem Medien ausgestellt werden. Die Herausforderung besteht darin, sowohl im Bauwerk und in den öffentlichen Bereichen als auch in der Inszenierung mit den künstlerischen Experimenten von Fluxus, Performance-Kunst, Video- und Filmkunst kongenial umzugehen, vielleicht auch Schlüsse zu ziehen, zu instrumentalisieren im Design und der Aufbereitung. Wir haben in unserer Arbeit als Ausstellungsdesigner immer versucht, eine kongeniale Rekonstruktion von Selbst- und Kunstverständnissen zu zeigen. Ein Beispiel ist die „Great Utopia“-Schau im Guggenheim Museum 1992 in New York. Die Bilder wurden nicht getrennt und als „Einzelfetisch“ ausgestellt, wir haben vielmehr dichte Konstellationen und Raumerlebnisse aufgebaut, die das Einzelwerk einer Bewegung von vielen Werken unterordnet – ohne Rücksicht darauf, dass manche dieser Werke einen höheren Berühmheitsstatus haben als andere und obendrein mehrere Millionen Dollar wert sind.

Das Schaffen einer dichten Erfahrung, die Rekonstruktion eines Werkstattcharakters, das Heraustreten der Werke in öffentliche Räume – diesen Ansatz haben wir auch in der Arbeit mit checkpointmedia für das Guggenheim Museum in Vilnius aufgegriffen. Die Sterne durchdringen als Schwärme von Medienflächen in verschiedenen Größen, Winkeln und Verzerrungsgraden das gesamte Museum – im Boden, an der Decke, in der Wand, in den Fenstern und im Landschaftsraum. Das hat viel mit dem Ort der Kunstauffassung und dem Selbstverständnis von Fluxus zu tun, es steht aber auch in der Tradition von Guggenheim. Das Guggenheim Museum ist ein prägnanter Ort mit eigenwilliger räumlicher Logik. Es ist nicht die Abstraktion des White Cubes, ein Ort der Neutralisierung von Beziehungen und der Isolierung des Einzelkunstwerks.

Museen sind wesentliche Attraktoren im städtischen Bereich. Es gibt natürlich einen touristischen Effekt, der einer Stadt gut tun kann. Ein Museum kann für Touristen oder ein spezielles Publikum wie bei Konferenzen ein Zentrum sein. Entscheidender ist für mich jedoch die Rolle eines Museums als Kommunikationspunkt und -institution für die ansässige Bevölkerung, vor allem im Sektor Kultur, Medien, Design, Hochtechnologie. Kurz: Alles, was sich unter dem Begriff Hochwertindustrien zusammenfassen lässt. Das Museum ist eine Institutionen des ständigen Austausches am Ort, aber auch des Austausches mit internationalen Experten und Netzwerken. Es ist damit auch ein Versuch, ein Brain Drain zu verhindern bzw. sogar das Gegenteil zu erreichen, nämlich Menschen aus diesen Bereichen mit ständig neuen Ausstellungen, Events, Vorlesungen anzuziehen. Das sehe ich als einen entscheidenden Punkt.

 


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